Gustav Steinbrecht

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Gustav Steinbrecht (1808 - 1885) war ein Schüler von Louis Seeger. Er wollte zunächst Tierarzt werden, aber Seeger, der sein großes Talent erkannte, überredete ihn Berufsreiter zu werden. Zunächst leitete er die private Reitschule seines Lehrers, bevor er sein eigenes Institut eröffnete und besonders durch die Ausbildung von Pferden, die Hohe Schule beherrschten, berühmt wurde. Seinem Schüler Paul Plinzner ist es zu verdanken, daß Steinbrechts Aufzeichnungen nicht verloren gingen und als das berühmte Buch: "Das Gymnasium des Pferdes" erscheinen konnten.


Von Ihm stammt der in Deutschland häufig zitierte und leider meistens missverstandene Ausspruch: "Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade." Den unwissenden Reiter verführt er oft dazu, planlos, in völlig übereiltemTempo, mit auseinadergefallenem Pferd durch die Reitbahn zu hetzen, obwohl Steinbrecht in seinem bis heute unübertroffenen Buch "Das Gymnasium des Pferdes" ausführlich beschreibt, daß er genau das nicht meint.

Unter dem Vorwärtstreiben verstehe ich nicht ein Vorwärtstreiben des Pferdes in möglichst eiligen und gestreckten Gangarten, sondern vielmehr die Sorge des Reiters, bei allen Übungen die Schubkraft der Hinterhand in Tätigkeit zu erhalten, dergestalt, daß nicht nur bei den Lektionen auf der Stelle, sondern sogar bei Rückwärtsbewegungen das Vorwärts,

nämlich das Bestreben, die Last vorwärts zu bewegen, in Wirksamkeit bleibt. Ferner verstehe ich unter der geraden Richtung des Pferdes nicht seine völlig ungebogene auf die abzuschreitenden Linien, sondern daß es unter allen Umständen, selbst bei stärkster Biegung seines Körpers und in den Lektionen auf zwei Hufschlägen, mit seinen Vorderfüßen den Hinterfüßen vorschreitet, die ihrerseits wiederum jenen unbedingt folgen.
Das Buch wird zwar von Jedermann erwähnt aber gelesen haben es wohl nur wenige, da dies wegen des umständlichen und weitschweifenden Schreibstils sehr mühsam ist.


Zum Einsatz der Hand:

Die gerade Stellung der Hand, bei der Daumen nach oben und der kleine Finger nach unten gerichtet ist, die Nägel der Finger aber dem Leibe zugewendet sind, ist die der Ruhe. Bei dieser Handstellung wirken bei gerade gerichtetem Pferde die Zügel, wenn sie richtig ausgeglichen sind, und die Hand über dem Sattelknopf steht, gleich stark und werden das Pferd daher auf gerader Linie erhalten. Aus dieser Stellung wird die Hand nach rechts und links gedreht, wobei der kleine Finger die Richtung der Bewegung angibt. Durch diese Drehung nach rechts seitwärts wird der linke Zügel allein verkürtzt und wirkt daher auf den Kopf und Hals nach links biegend; durch Drehung des kleinen Fingers nach links wird infolge Verkürzung des rechten Zügels die Biegung rechts bewirkt. Da zum Wenden des Pferdes außer der Biegung auch die Gegenwirkung des äußeren Zügels erforderlich ist,

so muß die Biegung durch entsprechende Verkürzung des inneren Zügels erleichtert und gesichert werden, und die Drehung der Hand dann halb seitwärts, halb rückwärts nach der rechten oder linken Hüfte zu erfolgen. Bei Führung mit verkürztem inneren Zügel tritt der Äußerer Zügel erst dann in Wirkung und ist in richtiger Anlehnung, wenn das Pferd die der Verkürzung entsprechende Biegung angenommen, sich also am inneren Zügel abgestoßen hat, wozu es daher durch mitwirkende Schenkelhilfe angehalten werden muß. Da der äußere Zügel hauptsächlich die nötige Aufrichtung der Vorhand zu erhalten hat, so ist es fehlerhaft, mit allein wirkendem inneren Zügel führen oder wenden zu wollen. Ebenso fehlerhaft ist es, sein Pferd mit dem äußeren Zügel allein zu wenden, wie dies so häufig bei gleich langen Zügeln durch falsches Seitwärtsführen der Hand geschieht.


Gutmütige und geduldige Pferde werden mit der Zeit auch diese verkehrte Hilfe begreifen und ihr Folge leisten, so gut es ihre fehlerhafte Ausführung zuläßt, empfindliche und geistvolle Pferde aber werden beim Rechtswenden links, beim Linkswenden rechts umdrehen und ihre Reiter in große Verlegenheit versetzen. Beim Verändern derRichtung bedrf das Pferd zu seiner Führung und Unterstützung vor allem der richtigen Anlehnung, alsoder sicheren und guten Wirkung beider Zügel. Der Reiter hat daher bein Wenden und beim wechselnder Stellung seine Aufmerksamkeit auf das Zügelmaß, auf die Handbewegung und die übrigen mitwirkenden Hilfen zu richten. Da ich von diesen erst bei den einzelnen Lektionen eingehend sprechen kann, so bemerke ich hier nur im allgemeinen Folgendes: der innere Schenkel unterstützt den inneren Zügel beim Biegen dadurch, daß er das Rückrat biegt und den inneren Hinterfuß gehörig unter der Last vorschiebt,

der äußere Schenkel unterstützt den äußeren Zügel bei der Aufrichtung, indem er den äußeren Hinterfuß festhält oder am Ausfallen hindert. Beide Schenkel erhalten die Anlehnung, indem sie das Pferd an die Hand herantreiben und zwischen die Zügel richten. Abwechselndes geringes Nachgeben und Annehmen des Zügels, das so notwendig ist, um stets das Maul gefühlvoll, also lebendig zu erhalten, bewirkt man in feiner Weise durch wiederholtes Öffnen und Schließen, durch sanftes Heben und Senkender Hand und durch Drehung im Handgelenk, durch die der kleine Finger abwechselnd dem Leibe des Reiters und dem Halse des Pferdes zugewandt wird. Hierbei ist es nicht nötig, die Zügel zu verkürzen oder zu verlängern, wenn dies aber durch Übergänge zu anderen Lektionen erforderlich wird, muß es stets mit dem Zeigefinger und Daumen der rechten Hand geschehen, so daß die linke Hand dabei unbeteiligt bleibt und ungestört die Anlehnung erhalten kann.



Derselbe Fehler, der wie ich schon an anderer Stelle bemerkte, bei der Unterweisung des Schülers im Sitz so häufig gemacht wird, kommt auch bei seiner Anleitung zur Führung des Pferdes vor, nämlich, daß man ihm auf mangelhaft gerittenen Pferde dieselben Formen und Hilfen vorschreibt, als ob er ein vollkommen durchgearbeitetes Pferd unter sich hätte. Die Folge davon ist, daß er sich ohne Erfolg vergebens abmüht, weder den Zweck der Hilfe, noch sein Pferd verstehen lernt, und endlich an der Sache überhaupt zweifelt. Ist das Pferd eben nicht so fein durchgearbeitet, daß es auf so feine Hilfen, wie die bloßen Drehungen der Hand eingeht, so gebe man dem Schüler eben kürzere Zügel und gestatte ihm ausgiebigere Anzüge.

Schließlich muß ich mich noch ganz entschieden gegen das Abrunden der Hand im Handgelenk aussprechen, worauf manch Lehrer so streng halten, da es den beabsichtigten Zweck, nämlich Leichtigkeit oder Nachgiebigkeit der Hand, durchaus nicht erfüllt. Diese künstliche Stellung muß auf die Dauer mit Anstrengung verbunden sein und zuletzt etwas krampfhaftes, also Hartes mit sich bringen, abgesehen davon, daß sie den Raum für stärkere verhaltende Hilfen beschränkt. Das Handgelenk soll wie jeder andere Körperteil des Reiters in natürlicher, ungezwungener Haltung bleiben, damit es nicht unnötig ermüdet und seine volle Kraft erforderlichenfalls ungehindert entwickeln kann.


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