Bemerkungen zum Studium von historischen Reitlehren

Das Lesen von historischen Reitlehren kann dem historisch Interessierten viel Freude machen, Aber auch der Reiter, der Reitkunst betreiben möchte, kommt nicht um das Studium der Autoren aus Renaissance und Barock herum. Zwar gibt es auch moderne Reitlehren, die auf die Lehren der Klassiker bezug nehmen, es gibt aber keinen Grund anzunehmen, dass wir heute verbesserte Methoden haben als diese, ein Schulpferd auszubilden.

Beim Studium von historischen Quellen existieren aber einige Schwierigkeiten, die dem unbefangenen Betrachter oft nicht bewusst werden. Bücher wurden in früheren Jahrhunderten nicht unter den gleichen Bedingungen und mit der selben Motivation geschrieben und verlegt wie in unserer Zeit. Die Bücher von Guérinièr, Newcastle und Grisone sind keine Reitlehren nach heutigem Verständnis sondern Enzyklopaedien. Sie sollen weniger handwerkliches Rüstzeug bei der Pferdeausbildung sein als Beschreibung des gesamten Wissens über das Pferdewesen. Sie umfassen auch Darstellungen der Pferdemedizin und der Zucht. Dass die Schulreiterei einen großen Raum einnimmt zeigt die überragende Bedeutung, die diese bei der Zielgruppe der Veröffentlichungen ( der reichen Oberschicht ) eingenommen hat.
Die Reitkunst stand in Renaissance und Barock gleichberechtigt neben Malerei, Dichtkunst und Musik. Ebenso standen die Reitakademien in gleicher Wertschätzung wie die berühmten Akademien über Dichtung und Musik. Das Bildungsideal der Zeit bestand in vielseitigem Wissen und Können.
Die handwerklichen Einzelheiten der Pferdeausbildung überließ man auch damals oft den professionellen Praktikern. Sie fand in den Prachtausgaben mit kostbaren Kupferstichen eher wenig Erwähnung.
Eine Szene aus Goethes Faust schildert die Problematik:

Wagner: Verzeiht, es ist ein groß Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
Zu schauen, was vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht.

Faust: O ja, bis an die Sterne weit!
Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln;
Was Ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.

Hängt man nicht wie Wagner einem naiven Fortschritsglauben an, so kann das Studium der Reitlehren aus Renaissance und Barock sehr wohl viel Freude machen und uns auch heute bei der Ausübung der Reitkunst eine gute Hilfe sein. Dieses Projekt soll in erster Linie möglichst viele verfügbare Quellen zur Verfügung stellen und zum vergnüglichen Stöbern aber auch zu tiefergehenden Studien einladen.
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